Dreimol Kölle Alaaf!

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Karneval spaltet die Nation. Fängt ja schon damit an, dass man hier "in Preußen" Fasching sagt.

Werd‘ ich mich nie dran gewöhnen.

Ich war im Winter 2003 gerade nach Berlin gekommen. als ich im Februar ein Bewerbungsgespräch angeboten bekam. Auf einen Rosenmontag. Einigermaßen entrüstet schrieb ich zurück, dass das ja nun nicht ginge - Karneval und so - und es verschoben werden müsse. Der angepeilte neue Arbeitgeber: Native Instruments. Wenn du jetzt die Augen entsetzt aufgerissen hast und denkst "WTF ist mit ihr kaputt?!" -- ja, das denke ich mir heute auch, aber frisch zugezogen war der Gedanke, an Rosenmontag nicht in Köln, sondern einem Bewerbungsgespräch zu sein, einfach absurd.

Ich denke, diese kleine Anekdote erklärt eindrucksvoll die Identifikation der Kölner*innen mit dem Karneval. Klar gibt es auch ein paar Antis, die es schick finden, Karneval zu hassen, aber bis auf Wenige sind einfach alle auf den Straßen - und alle verkleidet. Auch die, die an den "tollen Tagen" arbeiten müssen, Büdchen-Besitzer*innen (Büdchen = Späti) sowieso, aber auch die Polizist*innen im Dienst haben Strüssjer (kleine Blumensträuße) in den Uniformtaschen und auch ins Büro geht mensch verkleidet.

Anders als die (einigermaßen gruseligen) Karnevalssitzungen, die im Fernsehen übertragen werden, ist Karneval eine Veranstaltungswoche für die ganze Familie. Für jeden ist etwas dabei. Kinderkarneval, queerer Karneval, Hiphop Karneval usw. usf - gerne wird auch mal eine Messe in der Kirche "Op Kölsch" gehalten. Es gibt nicht nur den superbesoffenen Gröl-Karneval meist jugendlicher Übertreiber*innen, es gibt auch den Karneval in der "echten" Kölschkneipe, wo nicht selten drei Generationen Kölner*innen bei mitgebrachten Gürkchen, Käsewürfeln und Frikadellchen (für Balinaz: Buletten) -- ja nun, auch singen und trinken (und von beidem viel), aber anders.

Kölle steht Kopp. Ganz Kölle. Isso. Wer das immer noch nicht verstanden hat, kann ja gerne mal versuchen, an einem Rosenmontag ein Amt zu erreichen. Oder eine Bank. Als ich weggezogen bin, hatten auch die Supermärkte spätestens um 13h zu, "dank" Rewe ist das heute nicht mehr so.

Zeiten ändern dich und nach nun 15 Jahren Berlin fahre ich nicht mehr jedes Jahr zum Karneval nach Köln. Als kurz vor dem 11.11. und damit dem Beginn des Straßenkarnevals unkommentierte "Countdowns" in meiner FB-Timeline auftauchten, musste ich erst mal einen klitzekleinen Moment lang überlegen, worum es überhaupt gehen könnte. Trotzdem lief bei mir am 11.11. den ganzen Tag "der WDR" mit Live-Übertragung des Sessionsauftakts und selbstverständlich heute an Rosenmontag auch, während ich diese Zeilen schreibe.

Etwas reißt in meinem Herzchen, wenn ich die Bilder sehe. Ein bisschen Amusement über vergebliche Initiativen zu Müllvermeidung und Wildpinkeln, ein bisschen Besorgnis angesichts der Vulnerabilität der Innenstadt, aber auch schlicht und ergreifend ein bisschen Wehmut. Dabei fahre ich "nach Hause", wenn ich nach Berlin fahre. Ich empfinde "Heimat", wenn ich den Berliner Bären auf der Avus grüße und möchte nirgendwo lieber leben als in meinem Neukölln, wo ich im Büdchen (Verzeihung: Späti) anschreiben lassen kann genauso wie in "meinem" türkischen Supermarkt.

 

Ich schließe die Augen und stelle mir vor, ich hätte einen kölschen Pass und einen Berliner Pass und müsste einen davon abgeben. Mir wird ganz eng im Hals, schnell mache ich die Augen auf und bin froh, dass ich mich nicht entscheiden muss, irgendeinen Teil meiner Identität ab- und aufgeben zu müssen, sondern mit all meinen Facetten "sein" darf.

 

Die Urbane. Eine Hiphop Partei setzt sich für die doppelte Staatsbürgerschaft ein, denn wir wissen:

Heimat ist kein Ort, Heimat ist ein Gefühl

Tarek KIZ

Fluky / DJ Freshfluke

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