Corona: Die Krise als Chance?

Wie gehen wir mit der Krise um?

Die Krise als Chance

An Alle,

lasst uns bitte vorsichtig mit Informationen sein, die wir selbst meist gar nicht begreifen, sinnvoll auswerten und verarbeiten können. Die meisten von uns haben keine Expertise auf dem Gebiet Virologie oder Pandemie. Ich verstehe, dass wir einfache Antworten suchen, die gibt es aber nicht immer.

Es geht hier um eine Komplexität, die nicht zu lösen ist, indem wir uns hinstellen und sagen, es gibt nur „Drosten oder Wodarg“ (Anmerkung: Verbildlichung der aktuellen „Lager“ pro und contra Gefährlichkeit des Virus’ - Beides sind in den sozialen und anderen Medien zitierte Ärzte, die Gegenteiliges zu Corona behaupten. Die jeweilig echte Kompetenz außen vor gelassen - es geht nur um die Wahrnehmung beider.)

Das ist mindestens genauso sinnvoll wie die „Biggie oder 2Pac“ Diskussion.

In dieser beunruhigenden Phase der Weltgeschichte, in der - die Gefährlichkeit des Virus spielt hier noch keine Rolle - der Spuk am schnellsten vorbei sein könnte, wenn wir uns alle gemeinsam solidarisch verhalten, kommen Menschen aus Posting- und Videokanälen hervor, um gegen diejenigen zu hetzen, die sagen: „Hey, lasst uns doch bitte gemeinsam kurz die Füsse still halten und warten, bis wir diese Corona Scheisse wirksam bekämpfen können.“ Warum? Wir alle wissen nicht was passiert, also warum nicht im Zweifel für die Solidarität?

Sich vorbeugenden Ratschlägen zu widersetzen, ungeachtet der Tatsache, dass hunderte Menschen täglich sterben, wie zur Zeit in Italien, hilft uns allen nicht.

Was wird hier verlangt? Ein paar Wochen Netflix & Chill, damit ein unbekanntes Virus nicht statt wenigen Tausenden einige Millionen tötet. Vor allem diejenigen von uns, die eben genau dieses Privileg haben, unterstützen zu können, indem sie zu Hause bleiben, sollten dies tun.

Denn Millionen andere haben dieses Privileg nicht. Auch hier in Deutschland. Das ist eine Frage der Klasse. Es ist eine Frage von Ungerechtigkeit, barrierefreiem Zugang zu Hilfe und fehlender Gleichwertigkeit in einem rassistisch geprägten, kapitalistischen System.

Wenn weiße Menschen - wie in München passiert - Menschen, mit asiatischen Aussehen angreifen und mit Desinfektionsmitteln besprühen, zeigt das, dass selbst jetzt - obwohl das Virus keine Unterschiede macht - es viele Menschen aber immer noch tun. Warum?

Wenn diese Krise eins recht deutlich klar macht, dann, das wir alle betroffen sind - egal welches Geschlecht, Herkunft, Sexualität, Merkmale, Abstammung, Religion, etc. auch immer uns zu eigen ist. Wir sind alle betroffen. Wir müssen uns allen helfen. Besonders diejenigen von uns, die mehr Privilegien als andere, sollten nun besonders zeigen, was es bedeutet, menschlich zu sein.

Solidarität zeigen, Nachbarn fragen, die zur Risikozielgruppe gehören, ob sie Hilfe brauchen. Menschen beim Zugang zu Informationen helfen, etwas abgeben, wovon wir als Individuen vielleicht mehr haben, als andere. Das sind doch Chancen, statt Pflichten.

Warum weiten wir das nicht aus? Abschottung ist eigentlich jetzt individuell gefragt, nicht staatlich - vor allem bräuchten wir jetzt eine globale Zusammenarbeit, keine lokal begrenzte.

Warum merken wir nicht, wenn selbst das große Säbelrasseln der bekloppten NATO Aktion des Defender 2020 Manövers mit zehntausenden Soldat*innen wegen Corona abgesagt wird, wie bescheuert Krieg und Militär an sich sind?

Warum halten wir an Landesgrenzen fest, wenn ein Etwas mit ein paar Nanometer Größe durch die Gegend tobt und die gesamte Welt auf den Kopf stellt? Wäre es nicht an der Zeit, sämtliche Konflikte einfach zu beenden? „Ob“ wir Geflüchteten helfen darf keine Frage sein, sondern „wie“.

Warum muss, wenn wir in wenigen Wochen Milliarden an Euro und Dollar für Hilfszwecke ausgeben können, wenn wir in Stunden Maßnahmen wie dem kompletten Shutdown von Ländern verordnen können, in Syrien, Afghanistan und anderen Ländern noch Krieg sein? Warum gibt es Hunger und medizinische Versorgungsengpässe? Das Geld und die Mittel sind da, wenn der Wille kommt. Das sehen wir gerade live mit an.

Natürlich vergleiche auch ich die Zahlen und wundere mich, warum bei der jährlichen Grippewelle mit bis zu 650.000 Toten nicht genauso eingegriffen wird, wie bei Corona.

Aber dann sehe ich mir an, dass wir binnen 10 Tagen, nur in Deutschland, von 1.500 auf 15.000 (bestätigte) Infektionen kommen. Das bedeutet in den nächsten 10 Tagen wären es theoretisch 150.000 ... die Dunkelziffer liegt wahrscheinlich beim 10-fachen. Wer lässt sich denn testen?

Die schwere Grippewelle vor 2 Jahren hatte 500 Millionen (bestätigte) Infizierte und 650.000 Todesopfer. Damit sind 0,13% der Infizierten gestorben.

Corona hatte bei 244.000 (bestätigten) Infizierten - 10.000 Todesopfer. Das entspricht 4,1%.

D.h. wenn wir zulassen, dass sich von Corona auch 500 Millionen anstecken, haben wir über 20 Millionen Tote.

Dieses ganze System steht nun vor einer Chance, der Chance eines Neuanfangs. Die Frage ist, wie wir ihn gestalten? Mit dem alten, egozentrisch ausgelegten Prinzip einer kapitalistischen Welt, die Rassismus und Ausbeutung der unteren Klassen zum Alltag gemacht hat - oder ergreifen wir die Gelegenheit und denken um?

Es wäre naiv anzunehmen, dass diese Monate eines wirtschaftlichen Stillstandes, der einmalig in der Geschichte ist, nicht massive Folgen für uns alle bedeuten, auf die nächsten Jahre.

Wir haben jetzt die Chance, nachdem alles vorbei ist, das Wort Menschlickeit neu zu besetzen, uns zusammenzureißen und das Kapitel globaler Ungerechtigkeiten und rassistischen Wahnsinns zu schließen.

Und bitte, versucht sachlich und pragmatisch an die Situation ranzugehen. Hamsterkäufe, besonders von Dingen, die woanders nötiger gebraucht werden, sind nicht nur unsinnig sondern auch gefährlich.

Just my 2 Cents ... ich bin weder Arzt noch Experte, ich bitte einfach darum, dass wir alle diese Krise nicht nur überstehen, sondern daraus lernen. Sie als Chance begreifen.

Cheers,
Fabian
[Generalsekretär Die Urbane.]

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