Decolonize December: Flinta* im Unabhängigkeitskampf Indonesiens

#27 Decolonize December

1949 erlangte Indonesien Unabhängigkeit von den Niederlanden. Die Unterzeichnung der Souveränitätsübergabe durch Königin Juliana fand am 27. Dezember 1949 in Amsterdam statt.
Vorher hatten Indonesier:innen in einem 4 Jahre dauernden Krieg mit den Niederlanden vor allem durch Guerilla-Aktionen für diese Unabhängigkeit gerungen. FLINTA waren zentral in der antikolonialen Bewegung und Frauenorganisationen, die kurz nach der Jahrhundertwende in Indonesien aufkamen, hatten viel Einfluss.

Während sich die meisten Frauenorganisationen auf die Bildung von Frauen und den Kampf gegen Polygamie konzentrierten, entstand 1930 die sozialistische Frauenorganisation Isteri Sedar (Erwachende Ehefrau), die sich auf den Kampf für nationale Emanzipation und Befreiung vom niederländischen Kolonialismus und auf antikapitalistische Strategien konzentrierte. Die Stimmen von Isteri Sedar für nationale Befreiung wurden beim Nationalen Frauenkongress in Jakarta und bei der Gründung des Indonesischen Frauenkongresses (KPI) lauter, der sich für die aktive Rolle von Frauen in der Politik und für die Unabhängigkeit Indonesiens einsetzte.

Die antikoloniale politische Haltung prägte vor allem die feministischen Kämpfe und die feministische Arbeit der größten Frauenorganisation Indonesiens – die gleichzeitig Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahre eine der größten Frauenorganisationen weltweit wurde – GERWANI (Gerakan Wanita Indonesia, Indonesische Frauenbewegung)

Statt sich auf ‚Frauenthemen’ zu beschränken, organisierte GERWANI die Massen. Die größten Sektionen der GERWANI-Anhänger waren Bauern und arbeitende Frauen. GERWANI-Frauen gingen auf die Plantagen und sprachen mit den Arbeiterinnen über Schlüsselthemen wie Menstruationspausen, Mutterschaftsurlaub und Schikanen von Plantagenbesitzern. Dann begannen sie, gemeinsam mit den Frauen eine Kampagne zu diesen Themen zu führen, um ihre Situation zu verbessern und sie über ihre Rechte als Arbeiterinnen aufzuklären. GERWANI kümmerte sich auch um das Familienleben dieser Frauen und um Probleme im Zusammenhang mit Ehe, Scheidung und Polygamie. GERWANI spielte eine wichtige Rolle bei der Kampagne zur Reform des Ehegesetzes und bei der Forderung nach einer stärkeren Vertretung von Frauen in lokalen Regierungsorganisationen, die sich direkt mit Fragen wie Scheidung und Verlassen der Ehefrauen durch Ehemänner befassen.

GERWANI-Aktivistinnen wurden als Unterstützer der kommunistischen Parteipolitik angesehen, vor allem, als GERWANI sich am Agrargesetz beteiligte, um Land an die landlosen Bauern zu verteilen. Die Politik der Landverteilung war Teil des Programms der Kommunistischen Partei, die das Agrargesetz umsetzten versuchte. Dies rief den Zorn der Großgrundbesitzer hervor (…).
Die Massenbasis von GERWANI, die Art und Weise, wie sie damals bereits einen intersektionellen Ansatz entwickelten, der Feminismus mit Klassenfragen verband, und die Radikalisierung und Politisierung ihrer Mitglieder sind bis heute eine Inspiration.

Die Politik im unabhängigen Indonesien war sozialistisch und progressiv und stand international latent „im Verdacht“ kommunistisch zu sein oder zu werden. Von Tag 1 der Unabhängigkeitserklärung Indonesiens in 1945, während des gesamten Unabhängigkeitskriegs bis 1949 und in der ganzen Zeit nach der endgültig errungenen Unabhängigkeit von den Niederlanden, gab es ständige CIA-Aktivitäten in Indonesien.
Es lag auf der Hand und die Informationen wurden auch vor wenigen Jahren „declassified“, dass die CIA für den Putsch gegen den sozialistischen Präsidenten Sukarno durch den reaktionär-patriarchischen Militärchef Suharto intrigierte und zuarbeitete und dass sie für die Massaker, die Suharto unter Anhängern progressiver politischer Ideale anrichtete, Informationen lieferten.
(Melvin, Jess (October 20, 2017). "Telegrams confirm scale of US complicity in 1965 genocide". Indonesia at Melbourne. University of Melbourne. Retrieved July 16, 2018. The new telegrams confirm the US actively encouraged and facilitated genocide in Indonesia to pursue its own political interests in the region, while propagating an explanation of the killings it knew to be untrue.)

Für die reaktionären Kräfte unter der Führung von General Suharto stellte die Massenbewegung der feministischen und sozialistischen Aktivistinnen, vertreten durch GERWANI, eine ernsthafte Bedrohung dar, die ausgerottet werden musste. Um sie zu delegitimieren wurde der Organisation Ende 1965 die Beteiligung an einem terroristischen Attentat in die Schuhe geschoben, das angeblich durch die indonesische kommunistische Partei verübt wurde.
Zusammen mit antikommunistischen paramilitärischen Gruppierungen begann die Armee, einen gewalttätigen Angriff auf die PKI und alle ihr angeschlossenen oder nahestehenden Organisationen, bei dem schätzungsweise 500.000 Menschen ermordet und Hunderttausende weitere ohne Gerichtsverfahren inhaftiert wurden. GERWANI-Frauen waren das Ziel dieser Angriffe, weil sie als Teil einer größeren kommunistischen Familie angesehen wurden, aber auch, weil ihre emanzipatorische Politik die ideologische Basis der Kräfte in Frage stellte, die dann das Regime der Neuen Ordnung [Eigenbezeichnung der Suharto-Diktatur, d.Red.] bilden sollten. Sexualisierte Gewalt wurde systematisch gegen diese mächtigen und feministischen Frauen angewandt, um ihren Willen zu zerstören und ihre Organisation zu vernichten.
Frauen, die verdächtigt wurden, Mitglieder oder Sympathisantinnen von GERWANI zu sein, wurden zur Zielscheibe von willkürlichen Verhaftungen, Folter, sexueller Gewalt, Vergewaltigungen, gewaltsamem Verschwinden lassen und Mord. Frauen, die in der Internationalen Demokratischen Frauenföderation (IDFF) aktiv gewesen waren, wie Sudjinah, Sulami, Maasje Siwi, Tanti Aidit und Umi Sardjono, waren lange Zeit im Frauengefängnis Bukit Duri in Jakarta inhaftiert und Folter und Missbrauch ausgesetzt.
Suharto regierte 32 Jahre lang, die Zahl der Opfer wird auf bis zu 3 Millionen geschätzt.

Die Aufarbeitung der Geschichte seit 1965 hat noch nicht annähernd stattgefunden. Auch hier sind es vor allem indonesische FLINTA, die ihr Trauma und ihren Schmerz sichtbar machen und Anerkennung suchen.

Quellen:
https://t.co/bR8GW73NWM
https://t.co/WdQT09esER
https://t.co/rrwuiOaN5V
https://t.co/4x35JsMiwo
Das Foto zeigt Lestari und Sri Sulistyawati, welche beide jahrelang zu unrecht inhaftiert waren.
Foto: Annett Keller

Zurück